Volksdorfer Schachecke Nr. 10


Schach und die schöne Literatur - Teil 2

von Rudolf Angeli

Buch-Cover "Fernando Arrabal: Hohe Türme trifft der Blitz"
Cover-Bild aus der Bibliothek des Autors

Vierzig Jahre nach dem Erscheinen von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ veröffentlichte der spanisch-französische Autor Fernando Arrabal 1983 seinen fünften Roman „La torre herida por el rayo“.

 

Für diese„spanische Schachnovelle“ erhielt er  1984 den höchsten spanischen Literaturpreis „Prix Nadal“, den spanischen Pulitzer-Preis. 1986 erschien bei Kiepenheuer & Witsch die deutsche Übersetzung „Hohe Türme trifft der Blitz“.  


Der geheimnisvolle Titel gibt Rätsel auf.

Doch schon nach der Titelseite verweist eine Tarotkarte und ihr Begleittext auf die hintergründige Erläuterung:

Tarot-Karte "Turm"

 

"Das Bild zeigt einen Turm, dessen oberer Teil (Kopf) von einem Blitz getroffen und zerstört wird. Dieser Turm ist die Säule der Macht.

 

Die Ziegelsteine sind hautfarben, um darauf hinzuweisen, dass es sich um ein lebendiges Bauwerk, um ein Bild des Menschen handelt.

 

Die Karte drückt die Gefahr aus, in die übersteigerte Selbstsicherheit und als Folge davon, der Hochmut führen. Größenwahn, Verfolgung von Hirngespinsten und engstirniger Dogmatismen sind die Kontexte des Symbols (DER TAROT)".

Schach-Diagramm
Wer sich als erster rührt, verliert! Doch wer ist am Zuge?

 

Auch das schöne Gemälde auf dem Einband von L. Arnaiz nach einer Skizze von Fernando Arrabal wirkt wie ein Bilderrätsel:

 

Arrabal als Narr mit schachbrettmustrigem Hut sitzt vor einem Schachbrett mit einer ungewöhnlichen Stellung: Die weißen Figuren sind in die schwarze Stellung vorgerückt.

Merkwürdiger Zugzwang herrscht.

 

Im Haupterzählstrang dieses Romans schildert Arrabal minutiös den  Verlauf der 24. Partie eines Schach-Weltmeisterschaftskampfes im Centre Beaubourg in Paris. Ein Diagramm begleitet jeden Zug wie in einem Schachlehrbuch, und der Autor schildert ausgiebig die Überlegungen, Schlussfolgerungen und wechselnden Empfindungen der Meisterspieler.

Es kämpft der Wissenschaftler und Nobelpreisträger Marc Amary gegen Elias Tarsis, einen spanischen ehemaligen Goldschmied, einen Chaoten und Sadisten, der bereits als Kind im Internat Mitschüler wie Sklaven quälte.

Während der Überlegungsphasen der Spieler macht uns Arrabal in einer zweiten Erzählebene mit den Biographien der gegensätzlichen Charaktere vertraut bis zu der verblüffenden Erkenntnis, dass Amary einst einer dieser gequälten „Sklaven“ war. Kunstvoll webt der Autor noch eine dritte Handlungsebene in die Partie ein, die Entführung des sowje-tischen Außenminister Iswoschikow durch kommunistische Terroristen. Bei Partieende lösen sich die Lebensläufe und damit auch der Politkrimi auf.

Arrabal, ein literarischer Anarchist und Filmemacher, schuf einen wunderbar absurden, fantastischen Roman für Schachfreunde und für literarisch anspruchsvolle Leser.

 

Wie bei Zweigs Schachnovelle handelt es sich bei Arrabal um eine echte Turnier-Partie zwischen Weltmeister Capablanca und Tartakower aus 1922 in London, aber: „Nur für das Ende habe ich eine Analyse-Variante Tartakowers benutzt“.

 

Schach-Diagramm

Marc Amary- Elias Tarsis
Weltmeisterschaft, Paris; Fernando Arrabal:

Hohe Türme trifft der Blitz


1.c4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Le7 4. Sf3 Sf6 5. Lg5
0-0 6. e3 h6 7. Lh4 b6 (mit dieser Zugfolge gelang Tartakower 1922 mit Schwarz ein Remis gegen Weltmeister Capablanca. Jahrzehntelang galt diese „Tartakower-Variante“ als starkes Gegenspiel im abgelehnten Damengambit. Boris Spassky hatte es zu seiner Lieblingsvariante gewählt bis Bobby Fischer ihn und die Variante in der sechsten WM-Partie 1972 in Reykjavik zermalmte.)

8. cd5: ed5: 9. Db3 Le6 10.Td1 c6 11. Dc2 Se4 12. Le7: De7: 13. Se4: de4:  14. De4: Db4+ 15. Sd2 Db2: 16. Ld3 g6 17. Df4 Kg7 18. h4 Sd7 19. Se4 Da2: 20. h5 g5 21. Dg3 f5 (mit diesem Zug weicht Arrabal von der historischen Vorlage ab, die im 42. Zug remis endete) 22. Sg5 hg5: 23. Dg5: Kf7 24. Lf5: Da5+ (Amary verliert auch noch den Läufer)
0-1