Das Schachspiel begegnet uns in vielfältiger Weise in Literatur und Kunst. Selbst hoch fasziniert von dem königlichen Spiel, haben viele Schriftsteller aller Zeiten das oft geheimnisumrankte, zauberhafte Geschehen auf dem Brett in ungezählte Romane und Erzählungen eingeflochten. Ob als kleine Schlüsselszene oder als tragenden Hauptstrang der Handlung.
1983 verlegte ich berufsbedingt meinen Wohnsitz von Kiel nach Augsburg und nahm auch Abschied von meinem damaligen Schachklub in Kiel. Zur Erinnerung schenkten mir meine Schachfreunde einen Reprintband eines alten Schachbuches von Savielly G. Tartakower (einem polnisch-französischen Schachspieler und Buchautor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts):
„Die Hypermoderne Schachpartie“.
Bis vor zwei Jahren stand das Buch relativ blickfanglos auf meinen Regalen.
Im Dezember 2017 startete ich ein besonderes „Reiseprojekt“: Zum 75-jährigen Jubiläum des Erscheinens von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ im Jahre 1942 schickte ich eine aktuelle Ausgabe dieser berühm-ten Novelle alleine auf eine Reise um die Welt. Von Zweig-Freund zu Zweig-Freud „bereiste“ es erfolgreich die Lebensstatio-nen von Stefan Zweig.
(Näheres zu dieser außergewöhnlichen zweijährigen Weltreise der allein reisenden Schachnovelle auf meinem Weblog: „Die Jubiläumsreise der SCHACHNOVELLE“: https://schachnovellenreise.wordpress.com/ )
Stefan Zweig beendete die Schachnovelle wenige Tage vor seinem Exiltod in Brasilien. Es ist sein bekanntestes, ich möchte ergänzen tiefgründigstes Werk. Im Zentrum der Handlung steht der
Protagonist Dr. B., der als Häftling der Gestapo in Wien, die erlittenen Torturen nur überlebt, indem er mit Hilfe eines gestohlenen Schachbuches das Spiel erlernt und studiert und damit sich und
seinen Geist von der Folter isolieren und sich retten kann. Im Verlauf der Novelle trifft Dr B. auf einer Schiffsreise zwischen New York und Buenos Aires auf den Schachweltmeister. Sie tragen
mehrere Partien aus, und Dr. B. zeigt sich dem Weltmeister im Spiel ebenbürtig, bezahlt dies aber fast mit geistiger Überanstrengung.
Während meines Buch-Reiseprojektes erfuhr ich viele Hintergründe über Zweigs Schachnovelle. Eines setzte mich besonders in Erstaunen: Alle Zweig-/Literaturforscher sind sich hinsichtlich des
Schachbuches von Dr. B. einig: Es handelt sich zweifelsohne um das Buch von Tartakower, dessen Reprint seit 1983 in meiner Bibliothek steht! Stefan Zweig, selbst leidenschaftlicher Spieler, hat
vermutlich dieses Buch beim Schreiben der Novelle als Vorlage genutzt. Es fand sich auch in seinem Nachlass. Eine in der Novelle auszugsweise, eindeutig identifizierbare Partiebeschreibung
liefert die Beweislage. Diese Partie findet sich in Tartakowers Buch auf Seite 81, Partie Nr. 13. Gespielt während des Großturniers zu Pistuyan 1922 zwischen Alexander Aljechin und Efim
Bogoljubow.
Welch Verschränkung realer Ereignisse mit literarischer Fiktion!
Aljechin, Alexander- Bogoljubow, Efim
Großturnier Pystian 1922
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7
6.Sc3 b5 7.Lb3 d6 8.a4 b4 9.Sd5 Sa5 10.La2 Sxd5
11.Lxd5 c6 12.La2 c5 13.c3 Tb8 14.Ld5 0-0 15.d4 exd4
16.cxd4 c4 17.Le3 Le6 18.Lxe6 fxe6 19.d5 e5m 20.Tc1 Dd7
21.Sg5 Lxg5 22.Lxg5 Tbc8 23.De2 h6 24.Lh4 Tf7 25.Lg3 Dxa4
26.f4 exf4 27.Lxf4 Db5 28.Lxh6 c3 29.Dg4 Dd7 30.Dxd7 Txd7
31.bxc3 bxc3 32.Ld2 Tdc7 33.Lf4 Sb3 34.Lxd6 Tf7 35.Txf7 Sxc1
36.Tf1 Sd3 37.La3 c2 38.d6
In dieser Stellung rät Dr. B. von dem verlo-ckenden Zug c2–c1D ab, durch den Schwarz zwar scheinbar eine Figur gewinnt, nach La3xc1 Sd3xc1 d6–d7 jedoch im Nach-teil bliebe. Stattdessen empfiehlt er den von Bogoljubow in der realen Partie gespielten Zug 38. … Kg8–h7, nach dem es einige Züge später zu einem Remis kam.
Kh7 39.h4 Tc4 40.e5 Sxe5 41.Lb2 Tc8 42.Tc1 Sd7 43.Kf2 Kg6 44.Ke3 Tc6 45.Ld4 Sf6 46.Kd3 Txd6 47.Txc2
½-½
"Räucherkate", Claus-Ferck-Str. 43, 22359 Hamburg Volksdorf
Unser barrierefreies Spiellokal, die "Räucherkate", ist mit der U-Bahn (U1 bis Volksdorf), Bus und Auto gut zu erreichen.